Interviews,  Magazin

Interview mit Raphael Leone

öfg: Prof. Raphael Leone, wir freuen uns, sie als den scheidenden Präsidenten der Österreichischen Flötengesellschaft für ein Interview gewinnen zu können. Würden sie uns eingangs bitte über Ihren persönlichen Werdegang berichten?

Ich stamme aus Basel und studierte am Konservatorium Flöte bei Joseph Bopp. Die Solo-Holzbläser im Sinfonierorchester Basel waren durchgehend mit führenden französischen Musikern besetzt. In Paris lernte ich den Organisten von Sacre Coeur, Daniel Roth kennen, über ihn die Pariser Musikszene. Im Alter von 18 Jahren  traf ich Jean-Pierre Rampal in Paris und Nizza und studierte bei ihm. Nach dem Engagement in Basel und beim Philharmonischen Orchester Oslo warich 1972 bis 2015 Mitglied der Wiener Symphoniker. 1988 und 1989 erhielt ich einen Lehrauftrag am Mozarteum Salzburg und 1989 folgte ich für 26 Jahre dem Ruf an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Ich unterrichte immer noch an der schweizer Kalaidos-Musikhochschule.

Im Jahre 1991 gründeten Sie die Österreichische Flötengesellschaft.

In ganz Europa existierten eigene Flötengesellschaften und das Musikland Österreich hatte keine. Der internationale Anschluss fehlte uns. Ich pflegte weltweite Kontakte, die durch meine Orchester- Tätigkeit zustande gekommen waren und über manche Studienkollegen. Das Flötenspiel war nicht allein von künstlerischem Interesse für mich sondern auch Themen wie Neuerungen im Flötenbau, Neuerscheinungen von Notenausgaben und aktuelle Flötenmusik. Deshalb gründete ich die Flötengesellschaft. Noch bevor wir Geld hatten, beschlossen wir, das erste Flötenfest zu veranstalten. Damals hatte ich sehr hilfreiche Studenten. Die Alban Berg Stiftung unterstützte uns finanziell großzügig, weiters das Unterrichtsministerium. Die Verantwortlichen des Wiener Konzerthauses stellten uns die Räumlichkeiten gratis zur Verfügung. Junge Flötisten sind dort, sobald sie einmal in das Haus eingeladen wurden, auf der Künstlerliste. Das ist ein spezieller Anreiz für junge Talente. Ich lud den damals 22jährigen Emmanuel Pahud zu seinem ersten Konzertauftritt nach Wien ein. Der Manager des Konzerthauses Karsten Witt meinte daraufhin: „Sie können gerne ein Flötenfest veranstalten, aber wir wollen keine Klassenabende hören!“ Ich entgegnete ihm, „Sie sind der Manager, aber in der Flötenszene kenne ich mich aus und SIE nicht.“ Auch die junge Marina Piccinini holte ich als erster nach Wien.

Die von der ÖFG veranstalteten Flötenfeste widmeten Sie immer einem anderen Land.

Als ich nach Wien kam, war die Faure Fantasie hier noch nicht sehr bekannt. Hier wurde ein anderes Repertoire gepflegt. Mir war wichtig, über die Grenzen zu schauen. Die Flötenwelt sollte sehen, was an großartiger Literatur es neben den Bach-Sonaten und Mozart-Konzerten noch gibt.

Emmanuel Pahud spielte am Französischen Flötenfest. Das fanzösische Repertoire ist uns Flötisten geläufig. Jedoch die Solostücke, die Pahud damals für sein Konzert ausgewählt hatte, waren damals nicht bekannt. Michel Debost spielte die österreichische Erstaufführung des wunderbares Flötenkonzert von Andre Gretry.

Wir hatten ein Englisches Flötenfest mit den Stars William Bennett und Trevor Wye, die zuvor noch nie in Österreich gespielt hatten. Die Idee dahinter war zu zeigen: Was haben wir doch für hervorragende Flötenmusik aus England, die wir nicht kennen, die wir in unser Repertoire aufnehmen können.

Berio Sequenza mit Michele Marasco am Italienischen Flötenfest: eine authentische Interpretation, Marasco hat das Werk mit Berio studiert. Wir hörten die österreichische Erstaufführung vom Pergolesi Flötenkonzert, italienisches Belcanto. Das Flötenkonzert von Riccardo Zandonai spürten wir im Nachlass von dessen Familie auf. Es klingt wie Debussy, stammt aus dieser Zeit und verlangt ein sehr großes Orchester mit Harfe ,Celesta und Orchesterklavier. Die ÖFG war die einzige Flötengesellschaft, die auf allen Flötenfesten große Orchesterkonzerte veranstaltete, was mit einem enormen finanziellen und organisatorischen Aufwand verbunden war.

Ein besonders großes Flötenfestival veranstaltete ich mit amerikanischer Musik. Meine Kollegen waren der Meinung, es gäbe zu wenig interessante Literatur zu spielen. Wolfgang Schulz konnte ich überzeugen, ein Kammermusik-Recital zu spielen: Piston Quintett, Hansen-Serenade , Lu Harrison: First Concerto für Flöte und Schlagwerk. Er stellte ein Ensemble aus hervorragenden Musikern zusammen. Schlussendlich revidierte er seine Meinung mit den Worten: „Ich wusste nicht, dass es in Amerika so fantastische Musik gibt.“ Wir hatten unser Ziel erreicht.

Gab es jemals einen Schwerpunkt für Zeitgenössische Musik?

Wir spielten bei jedem Flötenfest Neue Musik. Am 10jährigen Flötenfest brachten wir viele Uraufführungen. Rainer Bischof erhielt den Auftrag, ein Werk für G-Flöte und Bassflöte zu komponieren, „Intreccio profondo“. Es existierte bislang keine Literatur für diese Besetzung. Unsere Kompositionsaufträge vergaben wir auch per Publikumsvoting. Das funktionierte so: Wir veranstalteten außerhalb der Flötenfeste ein Konzert mit österreichischer Musik, darunter einige Zeitgenossen. Anschließend entschied das Publikum durch ein Stimmenvoting, welcher der aufgeführten Komponist ein Werk für die ÖFG komponieren würde. Wolfram Wagner erhielt den Auftrag, seine Solostücke für Flöte wurden gespielt. Er schrieb für uns ein Quintett für Flöte und Streichquartett. Außer den Boccherini-Qintetten existierte keine Literatur für diese Besetzung. Schulz führte das Flötenkonzert von Grete Zieritz auf, welches Birgit Ramsl zu einem späteren Zeitpunkt mit Orchester zur Aufführung brachte.

Am 10 jährigen österreichischen Flötenfest spielten 36 österreichische Flötisten ausschließlich österreichische Musik. Mein persönliches Highlight war, dass es mir gelang, zu diesem Anlass das Hofmann-Konzert wieder aufzufinden. Im Archiv der Symphoniker suchte ich nach einem klassischen Konzert, jedoch sollte es weder Mozart noch Haydn sein. Ich fand einen Vermerk, nachdem ein Leopold Hofmann-Flötenkonzert im Archiv der Albertina läge. Erhalten hatte sich jedoch nur die Flötenstimme, das Orchestermaterial galt als verloren. An anderer Stelle in unserem Archivverzeichnis stand folgendes: Im Kloster Rapottenstein existieren Streicherstimmen zu einem Konzert unbekannter Herkunft. Ich fügte diese Flötenstimme mit jenen Streichermaterial zusammen und das passte! Wir hatten ein als verschollen gegoltenes klassisches Flötenkonzert wiederentdeckt. Ein Sensationsfund. Da man nicht weiß, ob es jemals zuvor gespielt worden war brachten wir das Werk eventuell zur Uraufführung. Die öfg verlegte das Werk neu, man kann es bei uns beziehen.

Es existiert ein ÖFG Noten- und Tonarchiv!

Nach unseren Statuten hat die ÖFG die Möglichkeit, Noten und CDs zu verlegen. Alle Audio- Mitschnitte der Flötenfeste sind ÖFG-Mitgliedern über unsere Homepage zugänglich. Ich habe mein Präsidentenamt nach 30 jähriger aktiver Tätigkeit an Matthias Schulz übergeben. Unter seiner Leitung legt die ÖFG nach und nach ein digitales Notenarchiv an, auf das unsere Mitglieder jetzt bereits Zugriff haben. Wir verwalten weiters den Nachlass von Karl-Bernhard Sebon, den wir aus Berlin nach Wien geholt haben und der nun in der Werkstatt von Meister Byung Jae Kang einsehbar ist.

Gab es jemals Anläufe, ein asiatisches Flötenfest zu veranstalten? Wäre das ein Anstoß für die Zukunft?

Ich plante ein Japanisches Flötenfest mit Kudo und Kato. Zu diesem Zeitpunkt war Bernhard Kerres Intendant des Wiener Kozerthauses. Die Raummiete war für die ÖFG unter seiner Geschäftsführung leider nicht mehr erschwinglich. Die Verbindung zu Japan war damals bereits sehr gut. Viele Japaner studierten in Österreich und setzten das Erworbene in ihren Kompositionen um.
Wolfgang Schulz spielte das Japanische Flötenkonzert von Otaka mit Orchester.
Der japanische Flötist Kato stellte im Brahmssaal des Wiener Musikvereins japanische Flötenmusik vor.
Mittlerweile gibt es auch in China und Korea große Flötenwelten. Seon Yung, die derzeit in der Jury des Carl-Nielsen Wettbewerbs sitzt, kennt man hierzulande leider noch nicht. Jasmin Choi als als absoluter Weltstar hingegen schon. Ein schönes Thema.

Gab es Konzerte, die vom wiener Publikum nicht angenommen wurden?

Ja, Robert Stallman`s Bearbeitungen der Mozart Klaviersonaten. Streicherisch perfekt arrangiert für Flötenquartett, ein großer Erfolg in den USA, wollte man sich in Wien nicht damit anfreunden.

Was wünschen Sie sich vom neuen Präsidenten Matthias Schulz zum 30 jährigen ÖFG-Jubiläum 2021?

Zum 30 jährigen Jubiläum sollten wir unsere eigenen FlötistInnen präsentieren und unsere KomponistInnen zur Aufführung bringen. Das Jubiläums- Flötenfest wünsche ich mir repräsentativ für das Musikland Österreich, offen für zeitgenössische Musik und perfekt organisiert. Diese ÖFG – Veranstaltung wird international wahrgenommen werden und kann damit die weltweite Geltung der österreichischen FlötistInnen hervorheben.

Sie sind nach wie vor als Flötist aktiv. Was sind Ihre nächsten Projekte?

Ich komme gerade aus Polen vom Bläserkongress, wo ich zum 5. mal eingeladen war und als Piccolist zu Rate gezogen wurde. Nächste Woche spiele ich dreimal Piccolo-Konzert in Venedig, anschließend folgen Aufführungen mit dem Symphonie-Orchester Ismir in der Türkei.

Der ÖFG stehe ich weiterhin als Künstlerischer Berater vor.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview vom 2. April 2019 führte Mirjam Mikacs für die ÖFG.