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Interview mit Karl-Heinz Schütz

Die ÖFG hat am 15. April Karl-Heinz Schütz getroffen und mit ihm über den kürzlich stattgefundenen Nielsen Wettbewerb in Odense/Dänemark, bei welchem er heuer den Juryvorsitz innehatte und für die neue Programmgestaltung zuständig war, gesprochen.

öfg: Lieber Herr Schütz, sie sind vor kurzem vom Carl Nielsen-Wettbewerb zurückgekommen, den sie selber 1998 gewonnen haben. Würde Sie uns bitte Ihre Eindrücke davon schildern.

Karl-Heinz Schütz:
Der Carl Nielsen-Wettbewerb findet in Odense, Dänemark statt und es gibt ihn schon sehr lange für Geige, 1995 folgte Klarinette und 1998 die Flöte. Er wird im Vierjahres-Rhythmus ausgetragen. Heuer wurden erstmals alle drei Disziplinen Flöte, Klarinette und Geige gleichzeitig ausgetragen. Nielsen hat Solokonzerte für diese Instrumente geschrieben, das Violinkonzert recht früh und die Bläserkonzerte am Ende seines Lebens. Nordic Artist Management richtet den Wettbewerb aus und hat zusammen mit Medici TV daraus ein sehr großes Event gemacht!
Ich wurde heuer gebeten, den Vorsitz und die Programmgestaltung bei der Flöte zu übernehmen. Als ich 1998 als 22jähriger am Wettbewerb teilnahm und als Gewinner daraus hervorging, hat mich die offene und herzliche Atmosphäre in Odense beeindruckt. In all diesen Jahren hat sich die sehr menschliche Komponente des Wettbewerbs erhalten.

öfg: Wie ist der Wettbewerb organisiert?

Karl-Heinz Schütz:
1998 waren wir glaube ich etwa 50 Leute, die eingeladen wurden. Heuer hatten wir über 250 Videobewerbungen und haben die 24 besten eingeladen. Emmanuel Pahud, Rune Most, Thorleif Thedeen und Finn Schumacker, der CEO des Odense Symphony Orchestra und ich trafen jeweils eigene Vorentscheidungen. Anschließend hörten wir alle Bänder, die keine Mehrheit hatten, noch gemeinsam an und stimmten darüber ab, wer letztlich eingeladen wurde. Ein sehr aufwendiger Prozess. Ich habe viele verschiedene Dinge daraus gelernt: welche technischen Standards müssen Videoeinsendungen erfüllen, wie bewältige ich die große Flut der Datenmengen, wenn der Internetserver damit überfordert ist? Viel Erfahrung ist hier bereits für die neue Orchester Akademie der Wiener Philharmoniker eingeflossen!

öfg: Wer war heuer in der Jury?

Karl-Heinz Schütz: Meine Aufgabe war es, eine Jury zusammenzustellen, bestehend aus international renommierten Flötisten und Musikern, die ihren Tätigkeitsschwerpunkt möglichst nicht in der Lehre haben. Es sollte vermieden werden, dass die Lehrer ihre Studierenden bewerten und dass ein Höchstmaß an Transparenz und Fairness gewährleistet wird.

Die Jurybesetzung war: Emily Benyon, Soloflötistin des Royal Concertgebouw Orchestra, Amsterdam, Andrea Oliva, Soloflötist des Orchestra dell’Accademia Nazionale di S. Cecilia in Rom, Soyoung Lee,
Soloflötistin aus Korea, Rachel Brown, eine der führenden Vertreterinnen der historischen Flöte. Weiters der weltweit als Solist tätige Cellist Torleif Thedeen, und die Musikmanager Alexander Taylor, Programmdirektor des Oslo Philharmonic Orchestra und Fredrik Andersson, Programmdirektor des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra.

öfg: Warum wurden neben Flötenprofis auch Manager eingeladen?

Karl-Heinz Schütz: Sie geben eine weitere und andere Sichtweise in die Bewertung, die über das rein Flötenspezifische hinausgeht. Sie können bei Juryentscheidungen helfen, bei Momenten, wo die Entscheidungsfindung flötenlastig wird und sich im Kreis drehen würde. „Diese Persönlichkeit interessiert mich“, aus dem Mund eines wichtigen Musikmanagers kann natürlich Entscheidungen über Musikkarrieren mitbeeinflussen und das war sicher ein Stück weit Absicht des Nordic Artist Management, die den Wettbewerb ausrichten.
Man darf auch nicht vergessen, dass wir hier 24 FlötistInnen aus 250 Einsendungen gehört haben. Das bedeutet, wir hören und sehen 24 der besten jungen FlötistInnen dieser Generation. Die Jury kann sich somit ganz auf Dinge wie musikalische Persönlichkeit, Ausstrahlung und Bühnenpräsenz konzentrieren.

öfg: War sich die Jury überwiegend einig oder wurde viel diskutiert?

Karl-Heinz Schütz: Ich habe die Arbeit der Jury über den ganzen Wettbewerb hindurch als sehr homogen empfunden. Wir hatten natürlich Diskussionen, doch hat die Jury letztlich immer an einem Strang gezogen. Es gab eine einzige Situation, wo wir Flötisten und die restlichen Jurymitglieder völlig konträrer Meinung waren, und da ging es um sehr flötenspezifische Dinge bei der Auftragskomposition! Das ließ sich aber leicht aufklären .

öfg: Bringt so ein Wettbewerbsgewinn karrieretechnisch etwas? Wie ist es Ihnen damit gegangen?

Karl-Heinz Schütz: Ich war damals im zweiten Studienjahr, als ich ihn gewinnen konnte. Für mich war es, wenn man so will der Einstieg, oder der Türöffner für eine internationale Karriere. Es ist ein großer Wettbewerb, eine große Referenz, auf die ich heute noch stolz bin und es war eine große Ehre für mich, dort heuer mitzugestalten .
1998 war es mein größter Wunsch, das Nielsen-Konzert mit Orchester zu spielen und das ist mir damals zu meiner eigenen Überraschung gelungen und der erste Preis war die Super-Draufgabe, so was vergisst man nicht! Daraus hat sich dann nach und nach vieles andere ergeben. 2019 ist die Strategie der veranstaltenden Agentur Nordic Artists Managements jedenfalls, dass die Gewinner der ersten Preise weitergereicht werden, eine CD gemacht wird und es zu weiteren Engagements kommt.

öfg: Hat sich aus flötistischer Sicht etwas verändert in den 21 Jahren seit ihrem Erfolg 1998?

Karl-Heinz Schütz: Das ist in der Tat eine interessante Frage, denn wir haben z.B. mit Emily Beynon zusammen festgestellt, dass es schön war zu sehen und zu hören, dass man immer noch sehr gut hört, woher jemand komm: ganz der Aussage zum Trotz, dass in puncto ‚Klang‘ heutzutage alles international nivelliert sei. Da klingt schon viel Muttersprache und Kultur mit, woher die Leute auch immer kommen: sehr reich ist der Kulturschatz, den man hier eben in Flöten-Klängen hören konnte!
Josephine Olech, die am Pariser Konservatorium bei Sophie Cherrier und Vincent Lucas studierte, hat gewonnen und damit hat die französische Flöte wieder einmal ein starkes Lebenszeichen von sich gegeben. Der zweite und dritte Preis gingen an Marianna Julia Żołnacz, Klasse Michael Kofler, Salzburg und Rafael Adobas Bayog, Klasse Andrea Lieberknecht, München.
Man konnte in all den Runden sehr viele interessante Persönlichkeiten erleben und unterschiedliche Klangvorstellungen und Musizierweisen beobachten! Ein echtes Vergnügen war das!

Klanglich unterscheiden sich z.B. die drei Preisträger ziemlich voneinander.
Das internationale Niveau jedenfalls ist sehr hoch und Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des diesjährigen Nielsen Wettbewerbes kamen neben Europa, aus Asien, Russland und aus Amerika. Wenn man die Zugriffe auf das Streaming beobachtet, war der Flötenwettbewerb verglichen mit den anderen Instrumenten der Erfolgreichste. Für uns Flötisten ist das Nielsen-Konzert halt ein sehr wichtiges und es ist für die Identität dieses Wettbewerbs von großer Wichtigkeit .

öfg: Gab es unter Ihrer Leitung andere Neuerungen an dem Wettbewerb?

Karl-Heinz Schütz: In der Programmgestaltung ist uns in Absprache mit Emmanuel Pahud, der als künstlerischer Berater dem Wettbewerbskomitee vorsteht, und dem Nordic Artic Management etwas gelungen, das es bisher in dieser Form nicht gab:

Die Aufgabe war es, mit Hilfe der Programmierung herausragende Interpreten, große Künstlerpersönlichkeiten zu finden. Wir haben uns also ganz bewusst einen Schritt vom klassischen Flötenwettbewerb mit seinen üblichen Standardwerken wegbewegt und ich würde sagen diesen weiterentwickelt.

Die Programmentscheidung fiel folgendermaßen aus:

  • Erste Runde: Bach Orgeltrio-Sonate in einer Bearbeitung für Flöte und Klavier. Man konnte aus vier verschiedenen Sonaten auswählen. Zu den Bach Flötensonaten des Standardrepertoires gibt es immer starke und zum Teil natürlich divergierende Jury-Meinungen. Hier hingegen waren wir in unserer Beurteilung frei vom gängigen Vorurteil und die Interpretin oder der Interpret konnte ebenfalls die ausgetretenen Pfade verlassen.
  • Thomas Larcher, ein österreichischer Komponist und Freund von mir komponierte für den Wettbewerb das Stück „Deep Red, Deep Blue“ für Flöte und präpariertes Klavier. Er zitiert darin Pink Floyd. Das Klavier wird mit wenig Aufwand präpariert. Das Werk ist wunderbar um sich zu präsentieren – etwa vergleichbar mit anderen Concours-Stücken wie der Dutilleux-Sonatine oder der Fantasie von Georges Hüe.
  • Als Drittes war ein französisches Stück vorgeschrieben, Sancan oder Dutileux Sonatine oder Gaubert Ballade.
  • Zweite Runde: In dieser Runde haben wir uns zu einer Pioniertat vorgewagt. Traditionell wird hier immer eine vollständige große Sonate mit Klavier unseres Repertoires und eines der großen klassischen Solo-Stücke des 20. Jahrhunderts gespielt:
    Emmanuel und ich wollten aber „etwas Neues“: „Play around Nielsen.“ Die Idee war, dass die Kandidaten eine Collage erstellen, in der sie die Musik Nielsens in Dialog zu den großen modernen Solostücken und zu weiterer Flötenmusik aus allen Jahrhunderten setzen. Und zwar in einem gewissen Prozentsatz 51 % Musik „nach Berio“, bis zu 20% Nielsen und der Rest frei von 1700-1959. Bei uns sind Collagen eingelangt, die man teilweise als druckreif bezeichnen möchte: Gänsehaut! Höchst beeindruckend, welche Purzelbäume hier der Einfallsreichtum geschlagen hat: Besonders Rafael Adobas Bayog hat sich hier ganz besonders profilieren können!
    Die KandidatInnen haben sich vor ihrem Auftritt kurz selbst mittels einer vorher aufgezeichneten Video Botschaft vorgestellt und ihre Beweggründe mitgeteilt, woraus ihr Stück, besteht und was ihnen dabei besonders am Herzen liegt.
    Insgesamt haben wir dadurch eine riesengroße Menge an bisher weniger gespielten Stücken zeitgenössischer Komponisten kennenlernen können! Auch wenn durch die Idee der Collage Technik man einige Werke nur auszugsweise kennenlernen konnte, so machte das immer Lust auf mehr!
  • Im Semifinale: C. Ph. E. Bach d-moll Konzert mit kleinem Streicher-Ensemble und Cembalo oder Benda e-moll, vorklassische Konzerte, oder drei Vivaldi-Konzerte als Einheit. Die FlötistInnen leiten das Konzert der dritten Runde selber ohne Dirigenten.
  • Im Finale: Nielsen-Konzert und Mozart G-Dur Konzert (2/3. Satz) mit Orchester.

öfg: Zu Ihrer Lehrtätigkeit am MUK Wien. Sie haben heuer mit Robert Dick und Nina Assimakopoulos zwei amerikanische FlötistInnen für Workshops nach Österreich eingeladen.

Karl-Heinz Schütz: Robert Dick ist eine Legende. Der pädagogische Hintergrund ist der, dass ich selber mit Robert Dicks Tondevelopment bzw. Throat Tuning schon als Musikgymnast in Berührung gekommen bin. Ein gespielter Ton wird in einer Oktave freier Wahl mitgesungen, man stimmt sich darauf ein. Für die Resonanz, den Ton ist das ein großer Multiplikator. Als Jugendlicher machte mich meine damalige Lehrerin Eva Amsler mit dieser Technik vertraut. Das möchte ich meinen StudentInnen weitergeben. Über Freunde in den USA ist auch der Kontakt zu Nina Assimakopoulos entstanden. Ihr Workshop war eigentlich schon für das Vorjahr geplant. In Nina finde ich die Bewegung auch die Befreiung durch Bewegung beim Spielen! Beide, Robert und Nina erweitern mit ihrem Klang und ihren Ausdrucksweisen meinen Horizont und den meiner Studierenden. Dass beide aus Amerika stammen ist wahrscheinlich Zufall. Ich habe allerdings bemerkt, dass die amerikanischen StudentInnen in Meisterklassen oft sehr offen und unvoreingenommen sind für Neues. Vielleicht ist das der richtige Boden für einen Robert Dick oder eine Nina Assimakopoulos. Hier in Wien kommen wir immer irgendwie aus der Tradition und Geschichte, was auch toll ist. Für Studierende einer Universität ist es sehr wichtig up to date zu sein!

öfg: Was sind Ihre Wünsche an die Österreichische Flötengesellschaft?

Karl-Heinz Schütz: Wien ist eine Musikstadt, eine Kulturstadt und der Ort, wo Dinge gemacht werden: An unseren beiden Musikuniversitäten – der mdw und der MUK passiert viel. Die öfg kann hier eine Brücke schlagen, zwischen den beiden Schulen und zu den vielen Flötenbegeisterten im Land. Ich bin mir sicher, dass unser erstes Projekt mit Nina gut laufen wird und ich bedanke mich herzlich bei Matthias Schulz für seine Idee und Initiative dazu! Träume, Wünsche gibts viele, z.B. Ein großes Flötenfest, wie Raphael Leone es über die Jahre organisiert hat, wäre wieder schön. Auch ein Wettbewerb für junge Flötisten und Flötistinnen ist wünschenswert, nachdem „Gradus ad Parnassum“ uns ja leider abhandengekommen ist, fehlt ein Podium für unsere Talente!

öfg: Sie spielen hier an der Wiener Staatsoper. Gibt es eine Lieblingsoper?

Karl-Heinz Schütz: Das hat sich über die Jahre immer wieder verändert. Ich dachte anfangs, Puccini würde hier mein Lieblingskomponist bleiben. Heute Abend spielen wir La Bohème, die ich sehr liebe. Über die Jahre bin ich aber auch Richard Wagner viel nähergekommen. Momentan sind meine Favoriten vielleicht die beiden Einakter Cavalleria Rusticana und Bajazzo und immer wieder Richard Strauss, oder vielleicht doch Fidelio….! So schön, all diese Werke spielen zu können!

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Mirjam Mikacs und Sandra Stini (ÖFG), 15. April 2019.